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Dr. He Jin im Gespräch über Philanthropie und Stiftungen in China: Eine Expertenperspektive

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Dr. He Jin, ehemaliger Mitarbeiter des Peking Büros der Ford Foundation, erläutert im Gespräch die Entwicklung des chinesischen Philanthropie-Sektors seit 1978, der von lediglich drei auf über 9.000 Stiftungen angewachsen ist. Die Auswirkungen von Gesetzen, die Rolle privater Initiativen und die Dynamik zwischen Stiftungen und der chinesischen Regierung sind dabei von großem Interesse.

 

Das Interview fand am 19. Oktober 2023 statt und gewährt Einblicke in die Welt der Philanthropie und Stiftungsarbeit in China. Das Interview mit Dr. He Jin führte Joanna Klabisch.

Das Jahr 1977 markierte den Auftakt der Reform- und Öffnungsphase in China. Diese historische Wende legte den Grundstein für die Entfaltung des Philanthropie-Sektors im Land, der sich über drei Schlüsselphasen erstreckte.

In den Jahren von 1978 bis 2007 verzeichnete der Philanthropie-Sektor eine behutsame, aber stetige Entwicklung, von bescheidenen drei Stiftungen auf beeindruckende 1.157. Chinesische Nichtregierungsorganisationen (NGO) prägten während dieser Zeit maßgeblich die Szene.

Die Dekade von 2008 bis 2017 brachte ein rasantes Wachstum mit sich, die Zahl der Stiftungen vervierfachte sich auf 5.909 bis 2017. Private Stiftungen erlangten die Mehrheit und prägten entscheidend die Dynamik des Sektors. Ein einschneidendes Ereignis war das Erdbeben am 12. Mai 2008 in Wenchuan County, Sichuan. Auch das 2013 implementierte "Charity Law" spielte in dieser Phase eine wichtige Rolle, da es die juristischen, steuerlichen und administrativen Rahmenbedingungen des Sektors definierte.

Die Periode von 2018 bis 2022 zeichnete sich durch eine fortgesetzte Expansion aus. Mit mühevoller Anpassung wuchs die Anzahl der Stiftungen bis Ende 2022 auf beeindruckende 9.276 an, im Durchschnitt 1,85 neue Stiftungen pro Tag. Private Stiftungen machten dabei zwei Drittel der Gesamtanzahl aus.

Diese Zahl mag im Vergleich zu den über 25.000 deutschen Stiftungen gering erscheinen, dennoch setzen sie jährlich Millionen für wohltätige Zwecke um. Sie finanzieren die Tätigkeiten chinesischer NGOs und nehmen beispielsweise im Bildungsbereich Einfluss auf staatliche Politik. Größe und Vielfalt des Sektors machen ein genaueres Hinschauen lohnenswert, was wir im Interview mit Dr. He Jin, Experten für Philanthropie in China, gemeinsam tun.

Das Interview fand am 19. Oktober 2023 statt und gewährt Einblicke in die Welt der Philanthropie und Stiftungsarbeit in China. Dr. He Jin, ehemaliger Mitarbeiter des Peking Büros der Ford Foundation, teilt seine Erfahrung und Ansichten mit Joanna Klabisch.

Lieber He Jin, herzlichen Dank für deine Zeit. Wir haben uns in Brüssel bei einem europäisch-chinesischen Stiftungsaustausch kennengelernt. Könntest du zu Beginn ein wenig über deinen Weg in die Philanthropie erzählen?

Dr. He Jin: Mein Weg in die Philanthropie begann vor meinem Engagement bei der Ford Foundation. Zuvor war ich beim UN-Entwicklungsprogramm tätig und hatte auch Erfahrungen bei der Weltbank gesammelt. Nach meinem Doktoratsstudium in Stanford im Jahr 1986 durchlief ich verschiedene Positionen bei der Weltbank. Mein Wunsch, in China zu arbeiten, führte mich schließlich nach Peking, wo ich sieben Jahre lang an sozialen und humanitären Themen, insbesondere im Bereich Bildung, arbeitete. Nach einer Rückkehr zur Weltbank zog es mich zum Peking Büro der Ford Foundation, wo ich 15 Jahre im Bereich Bildung und Kultur tätig war.

Wie bist du zu einem der führenden Experten im Bereich der Philanthropie geworden?

Dr. He Jin: Nach meiner beruflichen Laufbahn entschied ich mich, mein Wissen weiterzugeben und begann am China Global Philanthropy Institute (CGPI) zu lehren. Dabei nutze ich jede Gelegenheit, kontinuierlich, nicht nur innerhalb Chinas, sondern weltweit mehr über den philanthropischen Sektor dazuzulernen.

Bedeutet in deinen Augen Philanthropie in China dasselbe wie in westlichen Länderkontexten?

Dr. He Jin: Philanthropie ist erstaunlich ähnlich, auch wenn Europa weiter fortgeschritten ist, da es früher begonnen hat. Dennoch bestehen in den Ländern ähnliche Chancen und Risiken. Die zentrale Regierung und die Geschichte Chinas führen zu unterschiedlichen Herangehensweisen, und ein einfaches Kopieren aus dem Westen ist nicht möglich.

Was sind die rechtlichen Bedingungen?

Dr. He Jin: Die größten Herausforderungen ergeben sich aus dem Wechsel des bürokratischen Personals in Chinas Verwaltung. Das „Charity Law“ brachte viel Struktur in den Sektor. Es gibt jedoch immer noch Graubereiche und diverse Auslegungen. [Anmerkung der Redaktion: Das „Charity Law“ wurde zu Ende 2023 überarbeitet. Eine nähere Auseinandersetzung mit den Änderungen folgt.] Zudem spielen politische Themen und Zielsetzungen eine Rolle, wie die Fünfjahrespläne der Regierung.

Wie sind die finanziellen und strukturellen Bedingungen für den Sektor?

Dr. He Jin: Sie sind davon abhängig, wie sich die Organisation begründete. Gab es eine/n reiche/n Unternehmer:in oder ist man von Spendenmitteln abhängig? Nicht alle Organisationen haben ein Aufsichtsgremium, aber alle haben eine Aufsichtsperson, die die Organisation überprüft. Größere Organisationen haben zusätzlich Komitees. Berichte werden von der Aufsichtsperson abgenickt und dann an die zuständigen Behörden weitergeleitet, die wiederum alles prüfen. Nicht unähnlich den Verfahren in anderen Ländern.

Wie funktioniert das Spenden in China?

Dr. He Jin: Öffentliche Förderungen und öffentliches Fundraising fallen beide unter öffentliche Finanzierung. Aufgrund von strengen Vorschriften ist es jedoch schwierig für Stiftungen, die Genehmigung zu erhalten, öffentliche Gelder zu generieren. Häufig wählt man die Zusammenarbeit mit Organisationen, die dies dürfen, um mit ihnen gemeinsam öffentliches Fundraising zu betreiben, besonders am 9.9., dem offiziellen chinesischen Spendentag. Dem wichtigsten Tag für viele chinesische Stiftungen um Spenden zu generieren. Durch eine Vielzahl an Kampagnen werden Millionen Spenden gesammelt, primär online, über Handyapps. Für einige Organisationen hängt ihre gesamte Jahresplanung an Erfolg oder Misserfolg dieses Tages.

Warum entstehen Stiftungen und warum das schnelle Wachstum in China?

Dr. He Jin: Stiftungen entstehen entlang sozialer und ökonomischer Entwicklungen. Das rasante Wachstum in China ist jedoch überraschend. Insbesondere während der Corona-Pandemie begründeten sich weitere Stiftungen durch private Initiativen. Stiftungen arbeiten an der Lösung von gesellschaftlichen Problemen. Der Bedarf war und ist groß, Stiftungen versuchen ihn zu decken.

Wie sind die Beziehungen zwischen Stiftungen und der Regierung?

Dr. He Jin: Die Beziehungen sind institutionalisiert und persönlich. Einige sind formal, andere eher informell. Es gibt auch Stiftungen die von ehemaligen Ministeriumsmitarbeiter:innen begründet wurden oder die konkret von Ministerien initiiert wurden. Die Beziehungen sind oft, natürlich nicht immer, enger als in anderen Ländern.

Wie ist die Meinung der Bevölkerung über Stiftungen?

Dr. He Jin: Viele Menschen sind schlecht informiert, was an mangelnder Öffentlichkeitsarbeit liegt. Neue Philanthrop:innen, die naiv handeln, erzeugen negative Emotionen. Es gab auch schon Korruptionsfälle. Stiftungen müssen mehr und transparenter ihr Handeln in die Bevölkerung hineinkommunizieren.

Wie ist die Meinung der Regierungsvertreter:innen über Stiftungen?

Dr. He Jin: Ich habe beobachtet, dass Beamte und Beamtinnen anfangs davon überrascht waren, dass Stiftungen mit eigenem Geld tun, was die lokale Regierung nicht tut. Die meisten sind jedoch noch zu wenig informiert. Das kann zu Misstrauen führen, daher ist eine offene Kommunikation sehr wichtig für philanthropisches Wirken in China.

Gibt es Chancen für internationale Kooperationen?

Dr. He Jin: Internationale Kooperationen sind immer möglich. Veranstaltungen wie die in Brüssel [Anm. der Redaktion: Philanthropic Leadership Platform] zeigen das Potenzial für globale Vernetzung und Zusammenarbeit.

Herzlichen Dank für diesen tieferen Einblick in den philanthropischen Sektor Chinas.

 


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