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Veranstaltungsbericht: Kritikäußerung in China

"Auf eine Ratte zeigen und sie eine Ente nennen" ©知乎
"Auf eine Ratte zeigen und sie eine Ente nennen" ©知乎

Am 29. September veranstalteten wir gemeinsam mit dem Berlin Contemporary China Network (BCCN) den zweiten China Salon des Jahres. Diese Veranstaltung fand erneut im hybriden Format statt. Ziel der Veranstaltung war es, den Teilnehmenden diverse Formen der öffentlichen Kritikäußerung in China näherzubringen.

Der China Salon begann mit digitalen Impulsvorträgen von Dr. Daniel Fuchs, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitherausgeber des kürzlich erschienenen Buchs „Die Zukunft mit China denken“ , sowie Andrew Methvens, dem Gründer des renommierten Online-Sprachblogs "Slow Chinese". Anschließend fand in den Räumlichkeiten der Stiftung Asienhaus eine Diskussion mit Zoe Qian, Mitbegründerin von "Slow Chinese", statt.

 

Chinas kritische Stimmen

In westlichen Kontexten sind es oft dissidentische Stimmen aus der chinesischen Diaspora, die unser Bild kritischer Chines:innen prägen. Die Vorstellung, dass in China selbst öffentlich Kritik geäußert wird, erscheint angesichts der vorliegenden Informationen zu Zensur, digitaler Überwachung und restriktiven polizeilichen Maßnahmen schwer nachvollziehbar. Insbesondere die strikte Online-Zensur, bei der "verbotene" kritische Wörter oft von Algorithmen autonom und in Echtzeit gelöscht werden, stellt eine Herausforderung für kritische Diskussionen in der Öffentlichkeit dar. Auch das Risiko aufgrund von kritischen Äußerungen polizeilich belangt zu werden ist nicht zu unterschätzen. Dennoch haben Bürger:innen in China ein Interesse daran, ihr Missfallen zum Ausdruck zu bringen, besonders wenn es um lokale Missstände geht. Um staatliche Zensur zu umgehen, nutzen sie ihre linguistische Kreativität und die Besonderheiten der chinesischen Sprache, um Räume für Kritik zu schaffen. Diesem Thema widmet sich der Sprachlog Slow Chinese regelmäßig. In diversen Beispielen erklärten unsere Referent:innen wie historische Bezüge, Akronyme, Homophone, und andere sprachliche Feinheiten genutzt werden, um einerseits die Zensur zu umgehen, andererseits unter dem Deckmantel des Humors zu agieren und gesellschaftliche Legitimation zu schaffen.

Ein Beispiel für kreative Kritik stellt das Idiom „Auf eine Ratte zeigen und eine Ente benennen“ (chin. 指鼠为鸭) dar. Der Ausdruck, wurde im Kontext diverser Lebensmittelskandale Teil der „erlaubten“ öffentlichen Kritikäußerung in China. Er bezieht sich auf einen Vorfall, bei dem ein Student überzeugt war, in seiner Entensuppe einen Rattenkopf entdeckt zu haben. Der Student veröffentlichte Bilder davon, die sich schnell online verbreiteten. Das Kantinenpersonal bestritt energisch, dass es sich um eine Ratte handelte, und erklärte, die Fotografie zeige lediglich einen Entenhals. Fotomanipulationen, Cartoons und sogar Spielzeuge, die dieses Mischwesen darstellen, sind heute weit verbreitet. Weitere Beispiele kreativer Kritikäußerungen finden regelmäßig Einzug in unsere Newsletter: „runology“, „mitu“ …etc.

Die chinesische Sprache ermöglicht durch ihre Schriftzeichen, ihre Aussprache und Tonalität, insbesondere online, einen äußerst flexiblen und kreativen Verwendungsspielraum. Dieser basiert zusätzlich auf einem fundierten Wissen über den historisch-literarischen Kanon Chinas und integriert heutzutage gleichzeitig Einflüsse aus der englischen Sprache. Das Ergebnis dieser vielfältigen kreativen Sprachnutzung bleibt Nicht-Muttersprachlern oft unerschlossen.

Ebenso bleiben Chinas zahlreiche, durch die Medien nicht dokumentierte soziale Proteste meist im Verborgenen. Besonders häufig kommt es zu Demonstrationen im Bereich der Arbeitsrechte. Aber auch Umweltschutz und Landenteignungsdispute führen zu öffentlichen Unmutsäußerungen und Streiks. Diese Ereignisse sind mittlerweile zur Routine geworden, werden jedoch weder durch offizielle Datenerhebungen noch durch mediale Berichterstattung angemessen repräsentiert. Ihre Anzahl, insbesondere im Kontext schlechter Arbeitsbedingungen oder Lohndisputen, hat sich in den letzten 30 Jahren vervielfacht. Arbeiter:innen kritisieren konkret Unternehmen oder einzelne Einrichtungen. Häufig werden online in direkten Nachrichten staatliche Vertreter:innen um Unterstützung bei der Beseitigung von Missständen gebeten und auf die Streiks und Demonstrationen aufmerksam gemacht.

Sprache spielt auch in diesen Prozessen eine wichtige Rolle. Bezüge auf staatliche Slogans, Gesetzestexte und Xi Jinpings Reden dienen als rhetorische Mittel zur Legitimierung der Proteste. Man hofft so repressiven Maßnahmen zu entgehen, ähnlich dem Verhalten chinesischer Netizens. Die Nutzung von subtiler Bildsprache, wie sie beispielsweise Ende November 2022 bei den Demonstrationen gegen die Zero Covid Politik anhand von weißen DinA4 Papieren zu sehen war, findet hier ebenfalls Anwendung.

Der China Salon bot den Teilnehmer:innen die Möglichkeit, einen Einblick in die Vielfalt bisher eher unbekannter kritischer Stimmen zu erhalten. Wir hoffen, dieses Thema in Zukunft vertiefen zu können und somit dazu beizutragen, ein differenziertes und pluralistisches Bild der chinesischen (Zivil)Gesellschaft zu fördern. Wir bedanken uns herzlich bei unseren Inputgeber:innen Andrew Methven und Zoe Qian von Slow Chinese, wie auch unserem Co-Organisator und Inputgeber Dr. Daniel Fuchs und dem Berlin Contemporary China Network.

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