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Indonesien: Ruhe in Frieden, Demokratie!

Wahlzettel Indonesien
Wahlzettel in Indonesien, 14. Februar 2024 (Foto: Harriet Ellwein)

Das bevölkerungsreichste Land Südostasiens hat gewählt. Ex-General Prabowo erklärt sich zum Sieger. Doch gab es wirklich eine ‚Wahl‘? Ein Kommentar.

„Wozu haben wir eigentlich Wahlen, wozu Kampagnen, wozu öffentliche Debatten, wenn doch nur betrogen und bestochen, die Politiker:innen vor Ort eingeschüchtert und die Wahlergebnisse dann noch manipuliert werden?“, empörten sich zwei Tage nach der Wahl Sprecher des drittplatzierten Präsidentschaftskandidaten Ganjar Pranowo. Zugleich kündigten sie an, alle Rechtswege zur Anfechtung der Wahl am 14. Februar zu nutzen.

Die offiziellen Ergebnisse werden erst am 20. März verkündet. Den Nachrichtenmagazinen des öffentlich-rechtlichen Deutschen Fernsehens war die Abstimmung im viertbevölkerungsreichsten Land der Welt am Wahlabend zwei (Agentur-?) Sätze wert: Der ehemalige General Prabowo Subianto habe sich bei den Präsidentschaftswahlen in Indonesien zum Sieger erklärt. Und er sei wegen seiner Menschenrechtsverbrechen in Osttimor und Westpapua nicht unumstritten.

 Wahlplakat vom November 2023, das Ganjar und Jokowi noch einträchtig zeigt (Foto: Harriet Ellwein)Der zuvor bereits favorisierte Prabowo, Ex-Schwiegersohn des langjährigen Diktators Suharto, und sein Vizekandidat Gibran Rakabuming Raka konnten nach Schnellauszählungen mindestens 57 % der Stimmen für sich verbuchen. Damit wurde eine Stichwahl obsolet. Auf Platz 2 landete Anies Baswedan, ehemaliger Gouverneur von Jakarta, mit 25 % der Stimmen; Ganjar Pranowo, bis September 2023 Gouverneur von Zentraljava und noch vor einem halben Jahr als haushoher Favorit für die Nachfolge von Präsident Joko Widodo gehandelt, kam nur auf gut 16 %.

Der beliebte Präsident Jokowi durfte nicht ein weiteres Mal antreten. Warum er seinem Parteifreund Ganjar im Oktober 2023 die Unterstützung entzog und offen für seinen ehemaligen Rivalen der letzten beiden Wahlen und jetzigen Verteidigungsminister Prabowo eintrat, bleibt bis heute im Dunkeln. Vermutet wird unter anderem: Mit der Positionierung seines Sohnes Gibran als Vize von Prabowo will der noch amtierende Präsident sich weiter einen Platz in der Machtzentrale sichern und – wie in vielen asiatischen Ländern – eine Familiendynastie aufbauen.

Demokratischer Mantel überdeckt „Dirty Vote“

Seit dem Sturz von Diktator Suharto 1998 hat sich Indonesien auf einen mühsamen Weg zur Demokratie gemacht. Und wer den Wahlkampf von außen beobachtete, musste am demokratischen Prozedere nicht zweifeln: Da gab es die Kandidaten, die im Oktober nach amerikanischem Vorbild ihren Vize nominierten; es gab öffentliche Fernsehdebatten mit jeweils anteiliger Redezeit und große Abschlussveranstaltungen der Wettbewerber in der Hauptstadt. Besonders eindrucksvoll die Logistik: Auf örtliche Überschwemmungen wurde mit Höherlegung von Wahllokalen reagiert, Wahlurnen bei meterhohen Wellen per Boot zu entlegenen Inseln oder zu Fuß in Urwalddörfer transportiert. Am Wahltag selbst konnte ich in mehreren Wahllokalen geordnete Abläufe beobachten, bei dem die Helfer:innen geduldig das komplizierte Verfahren erklärten – es standen außerdem noch Wahlen zu (Regional-)Parlamenten an.

Ein Wahlplakat von Ganjar wird entfernt (Foto: unbekannt)Hinter den Kulissen sah es anders aus: „Noch am Wahltag habe ich einen Umschlag mit Geld bekommen. Und das war nicht der erste! Die meisten waren aus dem Prabowo-Lager!“, erklärte mir eine Fabrikarbeiterin aus Zentraljava. ‚Das ‚Enveloping‘ hat inzwischen ganz andere Dimensionen bekommen“, so ein NGOler: „Die Wähler:innen werden angerufen und nach ihren Kontonummern gefragt. Der Stimmenkauf erfolgt dann per Online-Überweisung! Dies ist fast unmöglich, später nachzuweisen.“

Unter dem Stichwort „bantuan sosial“ – soziale Unterstützung – hat kurz vor der Wahl das Team Prabowo-Gibran kostenlos Reis an die Dorfbevölkerung verteilt, logistisch unterstützt von der Jokowi-Regierung. Konzentriert hat man sich dabei vor allem auf die Ganjar-Hochburg Zentraljava, die rund 17 % aller Wähler:innen Indonesiens stellt. Dort gab es auf Prabowo-Kosten in den Buden am Straßenrand auch freie Snacks und Getränke, berichtete mir eine Gastronomin aus dem Landkreis Semarang.

Ein offenes Geheimnis, das nicht erst der oben zitierte Ganjar-Sprecher aufdeckte: Ortsvorsteher:innen bzw. Bürgermeister:innen, die der PDI-P-Partei angehören, wurden von Polizei und Militär massiv unter Druck gesetzt. Die Verfolgung der PDI-P Bürgermeister:innen ging auf die Staatsanwaltschaft über, sobald man ihnen das kleinste Vergehen nachweisen konnte. Wer letztlich nachgab und ins Prabowo-Lager überwechselte, wurde mit einer stattlichen Geldsumme belohnt.

Die PDI-P war die bislang größte Partei im Nationalparlament. Ihr gehören sowohl Jokowi als auch Ganjar Pranowo an; Jokowi-Sohn Gibran wurde als Prabowo-Vize inzwischen ausgeschlossen!

Die Nutzung staatlichen Ressourcen zur Unterstützung des Prabowo-Gibran-Teams stand im Mittelpunkt eines fast zweistündigen Dokumentarfilms, der drei Tage vor der Wahl auf YouTube online ging und nach 24 Stunden bereits 8 Millionen Mal aufgerufen wurde. Ein Investigativjournalist weist unter dem Titel „Dirty Vote“ drei Verfassungsrechtler:innen den gesetzeswidrigen Einsatz von Polizei und Militär, insbesondere gegenüber den Ganjar-Anhänger:innen nach. Prabowo wies den Film als Sabotage zurück; Unterstützung kam von ‚unverdächtiger‘ Seite: „Die meisten Aussagen sind wahr!“, zeigte sich Jokowi’s ehemaliger Vize Jussuf Kalla (dessen Partei dem Prabowo-Bündnis angehört!) überzeugt.

Konstante Prozentwerte und gierige Computer

„Glauben Sie diese Zahlen?“ fragte Kandidat Ganjar die Medienverteter:innen, als er am Wahlabend zu den Ergebnissen der Schnellauszählungen befragt wurde. Die Antwort beschränkte sich auf vielsagendes Lächeln. Ich selbst habe mir nach spätestens zwei Fernsehstunden die Augen gerieben: „Quick counts“ sind keine Hochrechnungen, sondern die Ergebnisse der jeweils ausgezählten Stimmen. Indonesien hat drei Zeitzonen. So konnte mit der Auszählung in Westpapua oder den Molukken bereits zwei Stunden vor den bevölkerungsreichen Provinzen in Java und Süd-Sumatra begonnen werden. Die Prozentzahlen für die einzelnen Kandidaten blieben jedoch fast konstant. Entweder hatten sie schon vorher festgestanden, oder es kamen keine neuen ausgezählten Stimmen dazu!

Inzwischen kursierten auch Auszählungsformulare im Netz, die 100 % Stimmanteil für Prabowo aufwiesen. Wahlhelfer:innen beschwerten sich darüber, dass der Computer bei Eingabe der Zahlen komplett andere Werte aufwies. So wurden z.B. in einem Wahlbezirk in Surabaya aus 168 Stimmen für Prabowo 468 – bei einer Gesamtzahl von ca. 250 Wähler:innen im gesamten Wahlbezirk! Allein aus dem Raum Surabaya, der zweitgrößten Stadt Indonesiens, stellte ein einzelner Beobachter in 32 Wahllokalen solche ‚technische Pannen‘ fest, wie sie die Nationale Wahlbehörde später bezeichnete.

Dort, wo weder Reis an die Bevölkerung verteilt noch die Wählerschaft durch Polizei und Militär eingeschüchtert wurde, sahen die Schnellauszählungen anders aus: Die insgesamt 1,7 Millionen im Ausland lebenden Indonesier:innen entschieden sich mehrheitlich für Ganjar, der z.B. in Europa (ohne Großbritannien) auf 56 % der Stimmen kam. In den islamischen Ländern konnte sich oft Anies durchsetzen, dem in Indonesien Nähe zu den islamischen Fundamentalisten nachgesagt wird.

Wohin geht die Demokratie?

Demo gegen Wahlbetrug, nach der Wahl vor einer Wahlbehörde in Semarang (Foto: H. Ellwein)Einen Tag nach der Wahl besuchte Präsident Jokowi das zentrale Reisverteilungslager der staatlichen Behörde BULOG in Cipinang, Jakarta und versprach eine Entspannung der Reisversorgung: Von den teuren Preisen für das Grundnahrungsmittel auf den Märkten und den leeren Supermarktregalen konnte ich mich beim Einkaufen selbst überzeugen. Gleichzeitig verkündete der amtierende Energieminister Arifin Tasrif, die Erhöhung des staatlich regulierten Benzinpreises.

Der durch den Regierungsapparat unterstützte Prabowo-Wahlkampf mit seinen umfangreichen (Reis-)Geschenken war erfolgreich und offensichtlich teuer. Und er hat gezeigt, dass der alte Machthaber mit dem neuen Gesicht und der neue Machthaber, der sein altes Gesicht mit sympathischen Opa-Gehabe tarnt, bereits eine Reihe demokratischer Spielregeln außer Kraft gesetzt haben. Welche Spielregeln bei der Prüfung der Wahlanfechtung aus dem Ganjar-Team angewendet werden, bleibt abzuwarten. In den sozialen Netzwerken wird die Demokratie bereits zu Grabe getragen: „Ruhe in Frieden,“ kommentierte ein User.

Beobachter:innen meinen, dass von Anfang an der zweite Platz für Anies Baswedan ‚vorgesehen‘ wurde. Obwohl Jokowi keine besondere Nähe zu Anies nachgesagt wird, ist dieser doch der pragmatischere der beiden Unterlegenen: Ministerposten für ihn und sein Parteienbündnis sind ihm wohl sicher. Bei Ganjar wird eine solche Umarmungsstrategie nicht funktionieren. Er hat sich in seiner zehnjährigen Amtszeit als Gouverneur als basisnah, absolut antikorrupt, religiös tolerant und als Verfechter einer guten Regierungsführung erwiesen. Es ist anzunehmen, dass er dies als Mitglied einer Regierung Prabowo nicht durchsetzen würde können und wohl auch nicht wollen.

Ein Meinungsbeitrag von Harriet Ellwein.

Harriet EllweinHarriet Ellwein, Jahrgang 1953, Gründungs- und langjähriges Vorstandsmitglied der inzwischen aufgelösten Südostasien Informationsstelle im Asienhaus (Verein für entwicklungsbezogene Bildung zu Südostasien). In den 1980er Jahren post-graduate Studium der Indonesischen Sprache und Literatur an der Gadjah Mada Universität in Yogyakarta. 2004-2007 für das Regionale Wirtschaftsförderungs-Programm in Zentraljava der GIZ tätig. Inzwischen verrentet, lebt sie in Dortmund und Semarang, Zentraljava.

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